Explosives Erbe – noch immer lagern in deutschen Böden Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg. Nach Entschärfung und Abtransport ist anschließend deren vollständige Zerlegung notwendig. Bei dieser Tätigkeit sind Mitarbeitende unter anderem auch TNT ausgesetzt, das als krebserzeugend für den Menschen anzusehen ist. Für einen Betrieb misst das IPA deshalb kontinuierlich die Belastung der Beschäftigten und berät hinsichtlich Schutzmaßnahmen.
Kampfmittelaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg, umgangssprachlich auch „Blindgänger“ genannt, sind auch heute noch ein Problem: Obwohl seit Kriegsende über 80 Jahre vergangen sind, nimmt die Anzahl ihrer Funde zu. Bundesweit wurden im Jahr 2022 nach Angaben des Deutschen Bundestages schätzungsweise noch circa 100.000 bis 300.000 Tonnen Blindgänger im Boden (Festland) vermutet (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2022). Lokalisiert werden sie meist bei Vorbereitungen für Baumaßnahmen. Aber auch durch die Auswertung von Luftbildern aus den Kriegsjahren werden noch heute Jahrzehnte alte Bomben geortet.
Als Sprengstoff und Hauptbestandteil von Bomben diente hauptsächlich 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT). TNT hat eine gelbliche Optik und eine kristalline Struktur. Es schmilzt bei circa 80 Grad Celsius und ist somit gut verfüllbar. Aufgrund seiner Stoßunempfindlichkeit und der daraus resultierenden Handhabungssicherheit war und ist es der weltweit am häufigsten eingesetzte Sprengstoff. Des Weiteren wurden Dinitrotoluole (DNT), chemische Vorstufen des TNT, verwendet.
Staub und Dämpfe von TNT führten bereits während beider Weltkriege zu einer chronischen gesundheitlichen Belastung der Beschäftigten in Munitionsfabriken. Damals gab es allerdings weder einen gesetzlich festgelegten Arbeitsplatzgrenzwert für TNT noch andere effektive Präventionsmaßnahmen, die die Beschäftigten hätten schützen können.
Heute besteht ein Kontakt von Arbeitnehmenden zu TNT insbesondere bei der Zerlegung von Kampfmitteln. Die Betriebe zur Munitionszerlegung sind als Landes- beziehungsweise Bundesunternehmen über die Unfallkassen der Länder oder der Unfallversicherung Bund und Bahn versichert. Für alle Beteiligten stehen die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden der Kampfmittelräumdienste, zu denen die Munitionszerlegung gehört, besonders im Fokus.
Die von TNT ausgehenden gesundheitlichen Risiken sind bekannt: TNT ist seitens der MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Kategorie 2 eingeordnet (DFG 2008). „Das heißt, es ist als krebserzeugend für den Menschen anzusehen, da durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen davon auszugehen ist, dass die Substanz einen Beitrag zum Krebsrisiko leistet“, sagt Dr. Stephan Koslitz vom Referat Human-Biomonitoring des IPA. Eine dauerhaft erhöhte Belastung mit TNT kann besonders Krebserkrankungen des Urogenitaltraktes mit Niere und Blase sowie eventuell auch des blutbildenden Systems zur Folge haben. Die Daten werden durch Informationen zum Wirkmechanismus gestützt: TNT wirkt mutagen, ist also erbgutschädigend.
Für die Exposition gegenüber TNT in der Luft gibt es einen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) mit einer Höhe von 0,1 Milligramm pro Kubikmeter (TRGS 900). „Der AGW ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da TNT auch über andere Wege in den Organismus der Beschäftigten gelangen kann“, so Koslitz. Neben der Luft kann der Gefahrstoff auch über die Haut aufgenommen werden und ist entsprechend mit einem „H“, dem Symbol für Hautgängigkeit, gekennzeichnet. Selbst beim korrekten Tragen von Atemschutz kann damit eine TNT-Belastung der Beschäftigten über die Haut nicht ausgeschlossen werden.
Aufgrund seiner Hautgängigkeit und der krebserzeugenden Wirkung zählt TNT zu denjenigen Gefahrstoffen, für die ein Human-Biomonitoring zur Expositionserfassung am Arbeitsplatz empfohlen wird (AWMF 2014). Dabei wird entweder der Gefahrstoff selbst oder eines seiner Stoffwechselprodukte im Urin nachgewiesen. Diese Empfehlung gilt grundsätzlich für alle krebserzeugenden und krebsverdächtigen sowie für hautgängige Gefahrstoffe. Entsprechend kommt dem Human-Biomonitoring von Sprengstoffen eine entscheidende Bedeutung zu: Das aufgenommene TNT wird in der Leber der Mitarbeitenden umgewandelt und größtenteils als Stoffwechselprodukt in Form des 4-Amino-2,6-dinitrotoluols (4A-2,6-DNT) über die Nieren mit dem Urin ausgeschieden. Anhand einer Analyse von Urinproben lassen sich folglich – unabhängig vom Aufnahmepfad – die Gesamtbelastung und die tatsächlich aufgenommene Menge an TNT im Körper der Beschäftigten nachweisen.
Untersuchungen zur Exposition gegenüber TNT bei Beschäftigten in der Munitionszerlegung zeigten in den Jahren 2003 und 2004 Urinspitzenkonzentrationen von 4A-2,6-DNT bis in den zweistelligen Milligramm-pro-Liter-Bereich (Letzel et al. 2003, Hagmann et al. 2004). Auch wenn die entsprechenden Expositionen über alle untersuchten Beschäftigten hinweg im Median mit 230 und 140 μg/L deutlich niedriger lagen, zeigten die Ergebnisse insgesamt dennoch, dass relevante innere Belastungen gegenüber TNT auftraten. Dies gilt umso mehr, da im Urin der beruflich nicht belasteten Allgemeinbevölkerung keine Stoffwechselprodukte von TNT nachweisbar sind, es also keine Hintergrundbelastung gibt. So liegt der im Jahr 2008 seitens der MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgestellte Biologische Arbeitsstoff-Referenzwert (BAR) für das 4A-2,6-DNT unterhalb von 1 μg/L Urin (DFG 2008). Der BAR entspricht dabei der inneren Exposition mit dem Arbeitsstoff, der eine Referenzpopulation aus nicht beruflich gegen diesen Arbeitsstoff exponierten Personen im erwerbsfähigen Alter ausgesetzt ist.
Wie sich die Expositionsverhältnisse an Arbeitsplätzen der Munitionszerlegung im Laufe der Zeit verändern, untersucht das IPA seit 2015. Zu diesem Zweck wird Beschäftigten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge ein Human-Biomonitoring als freiwilliges Instrument zur Expositionsüberwachung angeboten. Dazu werden jeweils am Ende der Arbeitswoche Urinproben genommen und in den Laboren des IPA auf 4A-2,6-DNT analysiert. Für die Bewertung der Ergebnisse wird der BAR-Wert in Höhe von 1 μg/L herangezogen. Wird dieser BAR-Wert überschritten, kann von einer beruflichen Exposition ausgegangen werden. Die Nachweisgrenze des am IPA eingesetzten analytischen Verfahrens beträgt 0,4 μg/L.
Die Untersuchung von mehr als 1600 Urinproben im Zeitraum zwischen 2015 und 2025 zeigt im Median eine Konzentration von lediglich 3 μg/L für 4A-2,6-DNT. Insgesamt lagen 65 Prozent der Proben an beziehungsweise oberhalb der Nachweisgrenze. Das 95. Perzentil aller Werte lag bei 334 μg/L, das heißt 95 Prozent der Messwerte lagen bei beziehungsweise unterhalb dieses Wertes. Der Mittelwert aller untersuchten Proben betrug 100 μg/L, wobei dieser Wert stark durch einzelne Spitzenexpositionen beeinflusst wurde. So wurden weiterhin einzelne Expositionen mit Konzentrationen bis zu 12,9 mg/L beobachtet. Diese konnten größtenteils auf unbeabsichtigte Hand-/Mundkontakte und entsprechende orale Aufnahmen zurückgeführt werden.
Insgesamt zeigt sich, dass sich die Expositionssituation – im Vergleich zu den Untersuchungen in 2003 und 2004 – deutlich verbessert hat und die „aktuellen“ Expositionen bei Beschäftigen in der Munitionszerlegung im Median um den Faktor 50–100 geringer ausfallen.
Das Human-Biomonitoring ist ein Instrument der Individualprävention. Die Ergebnisse wurden entsprechend dem Betriebsarzt sowie – sofern gewünscht – auch den Beschäftigten persönlich mitgeteilt. Im Gegensatz zu Luftmessungen ist das erhaltene Ergebnis ein Maß für die tatsächlich aufgenommene Menge an Gefahrstoffen in den Körper des einzelnen Beschäftigten – und zwar über sämtliche Aufnahmewege hinweg. Das Ergebnis wird nicht nur durch die arbeitshygienischen Randbedingungen am Arbeitsplatz, sondern auch durch Hautaufnahme, Atemfrequenz und weitere individuelle physiologische Faktoren beeinflusst.
Ein Human-Biomonitoring-Ergebnis wird entsprechend persönlicher und als relevanter als eine Luftmessung wahrgenommen und beeinflusst in der Regel auch unmittelbar das weitere Verhalten“, so Dr. Koslitz. „Gerade bei höheren Biomonitoring-Ergebnissen erinnern sich die Beschäftigten wieder an die konsequente Anwendung persönlicher Schutzmaßnahmen oder die Einhaltung organisatorischer Abläufe und Verhaltensweisen, die zu einer Verringerung ihrer Exposition beitragen.“ Das HBM ist somit ein hervorragendes Instrument zur Verhaltensprävention.
Bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden und gleichzeitig erbgutverändernden (mutagenen) Gefahrstoffen gilt das Minimierungsgebot. Das heißt, die Expositionshöhe, die Anzahl der exponierten Personen und/oder die Expositionsdauer sind so weit wie möglich zu minimieren. Dies geschieht in der Regel durch die Anwendung geeigneter, risikobezogener Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip – also durch Substitution (S), technische (T) und organisatorische (O) Vorkehrungen sowie durch Bereitstellung und den Einsatz persönlicher (P) Schutzausrüstung. Substitution kann dabei auch bedeuten, Zerlegungsverfahren mit hoher TNT-Emission und -Verteilung in den Räumen durch Alternativverfahren mit entsprechend niedrigerer Emission zu ersetzen.
Gerade bei der Überprüfung und Objektivierung risikobezogener Maßnahmen kommt dem Human-Biomonitoring eine entscheidende Rolle zu. So gibt es bei der Zerlegung von Munition eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien und Techniken mit unterschiedlichen Emissionsraten wie zum Beispiel Schneide- und Sägeverfahren in Kombination mit Ofen- und Abbrandanlagen. Auch Ausklopf-, Fräs- und Hochdrucktechniken spielen eine zunehmende Rolle. Neuere moderne Verfahren müssen dabei nicht zwangsläufig zu niedrigeren Expositionen führen. Schließlich sind bei den Tätigkeiten nicht nur der Normalbetrieb, sondern zusätzlich auch Reparatur- und Wartungsarbeiten oder die Verschleppung von Gefahrstoffen in andere Arbeitsbereiche zu berücksichtigen.
Insofern unterstützt das IPA mit dem Human-Biomonitoring nicht nur bei der Gefährdungs- und Risikobeurteilung, sondern auch bei der Interpretation der erhaltenen Ergebnisse unter den jeweiligen Expositionsumständen. Damit leistet das Institut einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und Gesundheit der Versicherten.
Fachliche Ansprechpersonen
Dr. Heiko U. Käfferlein
Dr. Stephan Koslitz
Die Autorin
Nina Bürger
IPA
Die Technische Regel für Gefahrstoffe 900 gibt Anweisungen für das Vorgehen bei Stoffen, die gemäß ihrer H-Kennzeichnung über die Haut aufgenommen werden können. Dazu zählt auch TNT: Beim Umgang mit hautresorptiven Stoffen ist die Einhaltung des Luftgrenzwertes für den Schutz der Gesundheit nicht ausreichend. Durch organisatorische und arbeitshygienische Maßnahmen ist sicherzustellen, dass der Hautkontakt mit diesen Stoffen unterbleibt.
Die „Explosivstoff-Zerlege- oder Vernichteregel“ der DGUV bietet für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei Aufräum- und Entsorgungsarbeiten von Gegenständen mit Explosivstoffen grundlegende Begriffe, Definitionen und Maßnahmen. Mit ihr geben die Versicherungsträger auch Betrieben zur Munitionszerlegung ein wichtiges Regelwerk an die Hand.
AWMF – Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Arbeitsmedizinische Leitlinie „Biomonitoring“. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2014; 49: 452–464.
DFG (2008) 2,4,6-Trinitrotoluene (and isomers in technical mixtures). https://repository.publisso.de/resource/frl:6457598/data
Hagmann M, Weiß T, Schaller KH, Angerer J. Belastung und Beanspruchung bei der Entsorgung von Explosivstoffaltlasten – Dosismonitoring und biochemisches Effektemonitoring. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2004; 39: 612–620.
Letzel S, Göen T, Bader M, Angerer J, Kraus T. Exposure to nitroaromatic explosives and health effects during disposal of military waste. Occup Environ Med 2003; 60: 483–488.
TRGS 900 (2025) Arbeitsplatzgrenzwerte. Online: https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/TRGS/TRGS-900
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Kampfmittelaltlasten in Deutschland – Ein Überblick 2022 Online: https://www.bundestag.de/resource/blob/909216/a5448dd84ac14a5b36fb93f400a4dff1/WD-2-032-22-pdf-data.pdf