Exo@work – Bewertung exoskelettaler Systeme in der Arbeitswelt

Projekt-Nr. IFA 4235

Status:

abgeschlossen 03/2022

Zielsetzung:

Exoskelette werden schon seit längerem in der medizinischen Rehabilitation – z. B. um Rückenmarksverletzten das Gehen wieder zu ermöglichen – erfolgreich eingesetzt. In neuester Zeit kommen vermehrt Exoskelette speziell für den Gebrauch an gewerblichen Arbeitsplätzen auf den Markt. Personen, die solche Systeme bei anstrengenden Tätigkeiten, wie dem Heben von Lasten oder bei Überkopfarbeit nutzen, sollen dadurch mechanisch unterstützt werden.

Obwohl bereits in zahlreichen Laborstudien einzelne Wirkeffekte von Exoskeletten nachgewiesen wurden, ist der effektive Nutzwert in der betrieblichen Praxis bisher weitgehend unbekannt. Einerseits ist nicht klar, inwieweit die im Labor getesteten Haltungen – hinsichtlich Ausprägung und Dauer – wirklich in der Praxis vorkommen und andererseits, ob und wie stark andere notwendige Tätigkeiten durch das Exoskelett beeinträchtigt werden.

Im Bereich Maschinensicherheit (u. a. kollaborierende Roboter) und Persönliche Schutzausrüstungen existieren für die sicherheitstechnische Beurteilung des Einsatzes von Exoskeletten vielfältige nutzbare Erfahrungen, die für Exoskelette am Markt trotz teils gegenteiliger Behauptungen der Hersteller noch nicht in ausreichendem Maße umgesetzt wurden.

Im Rahmen einer Forschungskooperation zwischen dem Institut für Mechatronik der Universität Innsbruck (Österreich) und dem DGUV-Fachbereich Handel und Logistik hat sich das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) an dem Forschungsprojekt "Exo@Work" beteiligt. Ziel des Projekts war die Entwicklung eines Leitfadens zur Evaluation von Exoskeletten für die Arbeitswelt. Aufbauend auf einer breit angelegten Analyse von Exoskeletten wurde eine grundlegende Vorgehensweise zur Evaluierung entsprechender Systeme erarbeitet. Die Validierung des methodischen Vorgehens zur Evaluation erfolgte im Rahmen von Labor- und Feldstudien mit exemplarischen Exoskeletten. Die Auswahl erfolgte derart, dass eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Ansätzen (bspw. hinsichtlich morphologischer Struktur (Starrkörper-Exoskelette/textilbasierte Soft-Exoskelette) und Aktuatorik (aktiv und passiv) möglich wurde und dies in dem Leitfaden berücksichtigt werden konnte. Durch dieses Vorhaben wurde eine Grundlage geschaffen, um zukünftig exoskelettale Systeme hinsichtlich ihrer biomechanischen, physiologischen und sicherheitstechnischen Effekte zielgerichtet zu evaluieren. Dieses Projekt fokussierte sich auf Anwendung von rumpf- und hüftunterstützenden Exoskeletten. In einem weiteren Projekt (IFA-4236-Exoskelette) wurden mit einer vergleichbaren Methodik Exoskelette für die oberen Extremitäten untersucht.

Aktivitäten/Methoden:

Der Arbeitsschwerpunkt des IFA lag in diesem Projekt in der biomechanischen Analyse des Wirkeffekts von rumpf- bzw. hüftunterstützenden Exoskeletten, der ergonomischen Evaluation in der betrieblichen Praxis und der Ermittlung der zu beachtenden Aspekte bei der Gefährdungsbeurteilung, die sowohl vom Hersteller als auch vom Exoskelett einsetzenden Arbeitgeber nach geltenden europäischen gesetzlichen Regelungen durchgeführt werden muss. Dazu hat das IFA auch seine Kompetenzen als Notifizierte Stelle für die Maschinen-Richtlinie (EU 2006/42/EG) und für die PSA-Verordnung (EU 2016/425) eingebracht.

In einer Kombination aus Labor- und Feldmessungen bestimmte das IFA die Effekte von verschiedenen Exoskeletten auf die Muskel-Skelett-Belastungen im Bereich des Rückens mittels invers-dynamischer Modellrechnung und Elektromyografie (Oberflächen-EMG) . Hierzu wurden im Rahmen einer Interventionsstudie zwölf Probanden (sechs Männer und sechs Frauen) jeweils randomisiert mit und ohne Exoskelett verschiedene statische und dynamische Hebetätigkeiten mit unterschiedlichen Lasten ausführen (insgesamt 14 Versuchsvarianten). Es konnten zwei passive und ein aktives Exoskelett im Rahmen der Studie getestet werden. Zur Beurteilung der Auswirkungen auf die Belastung des Rückens werden folgende biomechanische Parameter herangezogen: muskuläre Aktivität (EMG) der lumbalen und thorakalen Rückenmuskeln, Gelenkmoment an der Lendenwirbelsäule (L5/S1), Bandscheibenkompressionskraft an der Lendenwirbelsäule (L5/S1), Bodenreaktionskräfte sowie Hüft- und Schultergelenkwinkel. In einem zusätzlichen Aufgabenparcours wurde die Ausführbarkeit von Alltagsbewegungen wie Gehen, Hinsetzen/Aufstehen, Aufheben eines kleinen Gegenstandes vom Boden, Aufstehen aus einer liegenden Position (Simulation nach Sturz), eigenständiges An- und Ablegen des Exoskeletts überprüft.

Auf Grundlage der Laborerkenntnisse wurden in mehreren Logistikbetrieben im Bereich des Waren- und Gepäckumschlags die spezifischen Tätigkeitsprofile über mehrere Stunden mit einem körpergebundenen Bewegungsmesssystem (inkl. EMG) erfasst und ausgewertet, um den biomechanischen Nutzeffekt des eingesetzten Exoskeletts quantifizieren zu können. Dabei musste für jedes Exoskelett die Messanordnung spezifisch angepasst werden, um sowohl die Körperhaltung bzw. -bewegungen als auch das Bewegungsverhalten des Exoskeletts erfassen zu können. Parallel dazu wurden mittels Anwenderbefragungen das subjektive Entlastungsempfinden und mögliche Probleme bezüglich des Diskomforts durch das Tragen des Exoskeletts erhoben.

Das IFA hat im Zuge des Projekts eine Gefährdungsbeurteilung für Exoskelette und deren Einsatz erarbeitet und beispielhaft getestet. Diese wurde zunächst den Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt und ist inzwischen als Mustervorlage auf der Homepage des IFA als Download verfügbar. Diese Mustergefährdungsbeurteilung soll das Auffinden und Beurteilen von Gefährdungen für dafür zuständigen Personen erleichtern und somit zum sicheren Einsatz von Exoskeletten in der Praxis beitragen.

Ergebnisse:

Im Rahmen der durchgeführten Laborstudien konnten signifikante Entlastungseffekte der Rückenbelastungen bei allen untersuchten Exoskeletten in einem Bereich zwischen ca. 10 und 30 % bzgl. der Belastungsspitzen nachgewiesen werden. Dies betrifft sowohl die biomechanisch ermittelten Gelenkmomente und Bandscheibenkompressionskräfte im Bereich der Lendenwirbelsäule als auch die EMG-Aktivität der Rückenstrecker. Die zentrale Rolle spielt hierbei die richtungsabhängige Drehmoment-Kennlinie des jeweiligen Exoskeletts. Anhand der Kennlinien ist bereits ersichtlich, dass die Exoskelette immer nur eine Teilunterstützung des Rumpfes leisten können und diese nur bei größeren Rumpfbeugewinkeln (ab ca. 30°) signifikant entlastend wirksam wird. Insbesondere bei passiven Exoskeletten ist bedeutsam, dass durch den zwangsläufigen Hysterese-Effekt die Unterstützungsleistung beim Aufrichten deutlich geringer als beim vorherigen Beugen ist. Bei aktiven Exoskeletten kann dieser Hysterese-Effekt durch den Antrieb i.d.R. kompensiert werden. Allerdings kommt es durch die Antriebsregelung zu einem verzögerten Einsatz der vollen Antriebsleistung, was insbesondere zu Beginn eines Anhebevorgangs auffällig ist, da genau dann die höchsten Rückenbelastungen zu verzeichnen sind.

Pandemiebedingt konnten weniger Betriebsmessungen als ursprünglich geplant durchgeführt werden. Die Entlastungswirkung der Exoskelette zeigte sich innerhalb der betrieblichen Praxis weniger deutlich als bei den Laborversuchen, da hier neben den belastenden Hauptaufgaben zusätzliche Nebentätigkeiten, wie Arbeiten in aufrechter Körperhaltung, Gehen etc. auftreten. Insbesondere ist beim Tragen von Lastgewichten keine Unterstützungswirkung zu verzeichnen. Im Gegenteil fallen hier wie auch beim Gehen mehr störende Effekte ins Gewicht.

Die entwickelte Methodik sollte in weiteren Betriebsmessungen angewendet werden, um Best-Practice-Beispiele für den Einsatz von rumpfunterstützenden Exoskeletten zu ermitteln. An dieser Stelle kann auch der entwickelte Leitfaden helfen, infrage kommende Arbeitsplätze im Vorfeld durch betriebliche Praktiker leichter beurteilen zu können. Außerdem müssten zukünftig praxistaugliche Szenarien bzgl. der Tragedauern von Exoskeletten entwickelt werden, um gleichsam eine relevante muskuloskelettale Entlastung wie eine hohe Nutzungsakzeptanz zu erreichen.

Stand:

06.10.2022

Projekt

Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • Institut für Mechatronik der Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck
  • Laboratorium Fertigungstechnik, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg
Branche(n):

-branchenübergreifend-

Gefährdungsart(en):

Arbeitsbedingte Erkrankungen

Schlagworte:

Beanspruchung, Belastung, Arbeitsmittel

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Exoskelett, Belastung, Muskel-Skelett-System

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