Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts

Das Weißbuch

Das Recht der Berufskrankheiten soll weiterentwickelt werden. Das hat die Mitgliederversammlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) 2016 beschlossen. In ihrem Weißbuch schlagen die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten unter anderem vor, den Unterlassungszwang (siehe Punkt 2.) abzuschaffen, der bei einigen der häufigsten Berufskrankheiten Voraussetzung für eine Anerkennung ist. Zudem regen sie verschiedene Änderungen an, die die Transparenz des Rechts und Verwaltungshandelns für die Versicherten erhöhen.

Die Vorschläge des Weißbuches konzentrieren sich auf fünf Themenbereiche:

  • 1. Ursachenermittlung verbessern

    Um entscheiden zu können, ob Versicherte an einer Berufskrankheit leiden, müssen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unter anderem ermitteln, welchen schädigenden Einwirkungen die Versicherten bei der Arbeit ausgesetzt waren.

    Schwierig sind diese Ermittlungen vor allem dann, wenn die Ursachen für eine Erkrankung lange Zeit zurückliegen. Oft existieren die Unternehmen nicht mehr oder Unterlagen für eine eindeutige Beweislage fehlen.

    Bereits in der Vergangenheit hat die Unfallversicherung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Qualität der Ermittlung zu verbessern. Dazu gehört auch der Aufbau von Expositionskatastern, die vergleichbare Messdaten aus einzelnen Berufen oder Tätigkeiten zusammenfassen. Dadurch können die Unfallversicherungsträger leichter ermitteln, ob Versicherte in der Vergangenheit schädlichen Einwirkungen bei der Arbeit ausgesetzt waren. Um diesen Prozess weiter zu verbessern, schlägt die Unfallversicherung folgende Schritte vor:

    • In einem Projekt werden einheitliche Qualitätsstandards und Werkzeuge für die Ermittlung im Berufskrankheitenverfahren beschrieben. Diese Hinweise werden allen Unfallversicherungsträgern zur Verfügung gestellt.
    • Der Gesetzgeber schafft den gesetzlichen Rahmen dafür, dass Daten für weitere Expositionskataster erhoben und genutzt werden können.
    • Ein weiterer Schritt betrifft die Versicherten direkt: Bevor über ihren Fall entschieden wird, soll der Unfallversicherungsträger sie darüber informieren, welche Angaben zu ihrer Tätigkeit der Entscheidung zugrundgelegt werden sollen. So können die Betroffenen prüfen, ob ein vollständiges und zutreffendes Bild ihrer Arbeitstätigkeiten vorliegt oder möglicherweise ein wichtiger Aspekt fehlt.
  • 2. Unterlassungszwang abschaffen

    Neun von derzeit 80 Berufskrankheiten können laut Gesetz nur anerkannt werden, wenn die Betroffenen so schwer erkrankt sind, dass sie die Tätigkeiten aufgeben müssen, die "für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Konkret bedeutet das häufig: Für eine Anerkennung müssten die Betroffenen ihren Beruf und damit ihren Arbeitsplatz aufgeben.

    Auf diese neun Berufskrankheiten beziehen sich rund 50 Prozent aller Verdachtsanzeigen. Gemeinsam ist diesen Krankheiten, dass Symptome und Auslöser zeitlich eng verknüpft sind. Das heißt: Entfällt die schädigende Einwirkung, kommt es häufig zu einer Verbesserung.

    Hierzu ein Beispiel: Eine Pflegekraft leidet an einer schweren Wirbelsäulenerkrankung aufgrund Hebens und Tragens von Patientinnen und Patienten. Dank der angebotenen Präventionsmaßnahmen kann sie ihre Tätigkeit weiter ausüben. Nach geltender Rechtslage kann ihre Erkrankung derzeit allerdings nicht als Berufskrankheit anerkannt werden, denn dafür müsste sie ihre Tätigkeit aufgeben (Unterlassungszwang). Die Berufsaufgabe wäre jedoch sowohl für die Versicherte als auch ihren Arbeitgeber keine gute Lösung. Daher sollte diese Anerkennungshürde fallen.

    Damit die Abschaffung des Unterlassungszwangs positive Wirkung entfalten kann, müssen folgende Maßnahmen flankierend umgesetzt werden:

    • Versicherte sollen über mögliche Präventionsmaßnahmen aufgeklärt und gesetzlich verpflichtet werden, bei der Anwendung dieser Präventionsmaßnahmen mitzuwirken. Ähnliche Regelungen gelten zum Beispiel heute schon für die Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen.
    • Gleichzeitig wäre es die Aufgabe des Verordnungsgebers, für die einzelnen Berufskrankheiten genauer zu beschreiben, welche Anforderungen er an die Anerkennung stellt - insbesondere den jeweils für eine Anerkennung als Berufskrankheit erforderlichen Schweregrad der Erkrankung.
  • 3. Rückwirkung regeln

    Wenn eine Krankheit in die Berufskrankheiten-Liste (BK-Liste) aufgenommen wird, muss auch geregelt werden, wie mit Erkrankungsfällen umgegangen werden soll, die vor der Aufnahme der Krankheit in die BK-Liste aufgetreten sind.

    In der Vergangenheit hat die Bundesregierung sich hier häufig mit einer Stichtagsregelung beholfen. Diese erleichterte zwar die Verwaltungsarbeit, konnte aber dazu führen, dass gerade die Erkrankten von einer Anerkennung ausgeschlossen wurden, deren Erkrankungen erst die notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Aufnahme in die BK-Liste gebracht hatten. Im Sinne einer Gleichbehandlung aller Erkrankungsfälle sollte hier eine einheitliche gesetzliche Lösung gefunden werden.

  • 4. Ärztlichen Sachverständigenbeirat (ÄSVB) gesetzlich verankern

    Welche Krankheiten eine Berufskrankheit sein können, entscheidet die Bundesregierung. Sie lässt sich dabei wissenschaftlich vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beraten (s. hierzu auch FAQ 1. Was ist eine Berufskrankheit?). Der ÄSVB ist gesetzlich nicht verankert; wer ihm angehört, war bislang nicht öffentlich. Es wird immer wieder bemängelt, dass auch der Prozess seiner Entscheidungsfindung nicht transparent ist. Die Unfallversicherung schlägt deshalb vor, den ÄSVB und dessen Aufgaben auf gesetzliche Grundlagen zu stellen.

  • 5. Forschung vorantreiben

    Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, die Forschung zum Thema Berufskrankheiten voranzutreiben. Hier möchte sie künftig weitere Anreize schaffen, um die Wissenschaft für neue Forschungsthemen aus diesem Bereich zu gewinnen. Die Forschungsförderung und auch die Themen, zu denen bereits geforscht wurde, sollen insgesamt transparenter und bekannter werden.

    Weitere Informationen zum Thema Forschung gibt es auch unter "Forschung der gesetzlichen Unfallversicherung zu Berufskrankheiten".